Zum Abschluss seiner kleinen und spontanen Performance möchte er ihnen eine hübsche Parabel zum Nachdenken und Weiterlesen mitgeben. Ein wichtiger Text, den ihm ein Schriftstellerfreund aus Warschau zum letztjährigen Antikriegstag geschenkt habe und der ihm so trefflich Antwort auf die Frage zu geben scheine, die alle Menschen guten Willens in diesem Jahr bewege: Wird es Krieg geben? Genau das sei auch der Titel der Parabel und er bitte noch einmal darum, genau hinzuhören. Es werde sich lohnen. Jetzt war es totenstill geworden. Dann zog er ein zerknittertes Blatt Papier aus der Innentasche seiner Jacke und begann noch einmal mit seiner warmen, bereits etwas kratzig gewordenen Stimme vorzulesen.
Wird es Krieg geben?
In den alten Zeiten, als es in Krasnogaj noch einen Rabbiner gab, war der alte Kuperholz zu ihm gegangen, um ihn zu fragen, ob es Krieg geben würde.
„Du machst“, so sprach der Rabbiner, „mittags deinen Laden zu und gehst nach Hause. Du trittst in den Flur und riechst gebratene Zwiebel. Oh, wie sie duftet! Du gehst weiter, und in deine Nase steigt der Geruch von gehackten Eiern mit Zwiebel, von gebratener Leber, von Huhn in fetter Brühe, von Honigfladen … Du trittst ins Zimmer, und der Tisch ist weiß gedeckt, alles ist da, Bestecke, Teller und Schüsseln. Was meinst du, Kuperholz? Wird es Mittagessen geben?
(Auszug aus dem Kapitel Friedenskünstler meines Romans Wie Thomas Bitterschulte sich das Leben neu erfand. 2005)