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Hoher Besuch

Bereits geraume Zeit vorher erhielt ich einen Anruf aus dem Bundeskanzleramt. Herzlichen Glückwunsch, tönte der Referatsleiter. Der amerikanische Präsident wolle während seines Staatsbesuchs einmal bei ganz normalen deutschen Menschen absteigen. Privat zu Gast sein samt seiner beiden Amtsvorgänger und der First Ladys. Die Seele baumeln lassen. Wir seien auserwählt worden, von einer Art Findungskommission, bilateral zusammengesetzt, den Gastgeber zu geben. Zur besten Sendezeit. 

Natürlich war ich überrascht und etwas pikiert wegen unserer Einordnung als ganz normale Menschen, sagte aber spontan zu. Eine solche Gelegenheit, einmal im Rampenlicht zu stehen, käme so schnell nicht wieder, befand dann auch Plektrudis. 

Die Nachbarn würden sich die die Hälse ausrenken, wenn die Staatskarossen vorgefahren kämen. Von allen Vorstellungen entpuppte sich diese leider zuerst als Trugschluss. Schon einige Wochen vor der präsidentellen Visite wurden sämtliche Nachbarn nämlich ausquartiert. Ihre Häuser wurden von Sicherheitskräften requiriert, die niemanden mehr zu uns durchließen. Es sei denn, er konnte eine der seltenen Sondergenehmigungen vorlegen. Wir waren faktisch isoliert.

Vollends aus der Fassung geriet ich, als wenige Tage vor dem Termin Spezialisten unser Eigenheim inspizierten und seelenruhig damit begannen, die Toilettendeckel abzumontieren. Sie ersetzten sie durch stabile Stahlplatten und schraubten diese fest. Aus Sicherheitsgründen. 

Für unsere Bedürfnisse stellten sie in der Garagenzufahrt ein Containerklo auf. Für die paar Tage kann man das in Kauf nehmen, meinten wir. 

Belohnt wurden wir an jenem schönen Nachmittag im April, als das Präsidententrio, der amtierende eingerahmt von seinen beiden Vorgängern, sich auf unserer Couch räkelte, die eigens für den großen Tag repräsentativ ausgetauscht worden war. Der Protokollchef hatte mir eine Begrüßung von zwei Minuten eingeräumt, die live in die Staaten übertragen wurden sollte. Nationwide.

Sehr geehrte Herren Präsidenten …, begann ich und war irritiert, als mein Blick in den Garten fiel, wo Plektrudis gerade im hellen Frühlingskostüm mit den First Ladys ein Damenprogramm absolvierte. Sie spielten Krocket. 

Of America, half mir der amtierende auf die Sprünge. 

Der Vereinigten Staaten, fuhr ich fort und brachte meine Rede ganz gut zu Ende, wobei mir ein aufmunterndes Lächeln des unmittelbaren Amtsvorgängers half. Hinterher stand der Amtierende auf, klopfte mir auf die Schulter und ergriff das Mikro. Er überreichte mir ein handsigniertes Portrait, das ihn selbst vor dem bekannten Schreibtisch im Oval Office zeigte. 

Mittlerweile war ich doch froh, dass der hohe Besuch auf zwei Stunden begrenzt war. Bald zogen alle wieder ab, die Fernsehteams packten ein, der WC-Container wurde auf einen Sattelzug gehievt. Die Nachbarn zogen wieder ein. Wir waren erleichtert und fragten uns, ob sie uns im Fernsehen gesehen und bewundert hatten. 

Nach all der Aufregung musste ich austreten, stellte aber voller Bestürzung fest, dass die Sicherheitskräfte vergessen hatten, die Stahlverriegelungen wieder abzuschrauben. Kleinlaut schellten wir bei den Nachbarn an und baten um Erlaubnis zur Benutzung ihrer Gästetoilette. 

Am nächsten Morgen ließen wir auf eigene Kosten einen Klempner kommen und wieder einige Tage später erhielt ich einen Anruf vom Schwiegersohn des amtierenden Präsidenten. Er unterbreitete uns ein Kaufangebot für unser Häuschen. It’s a deal? Ich überließ es Plektrudis, ihn abzuwimmeln.

 

 

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